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Was hat die wissenschaftliche Disziplin der Meteorologie mit Kolonialismus zu tun? Gab es überhaupt meteorologische Forschung in den deutschen Kolonien? Und wenn ja, was haben Wetterbeobachtungen mit Kolonialismus zu tun? Und schließlich stellt sich die Frage, welche Rolle der Stadt Göttingen dem Zusammenspiel von Kolonialismus und Meteorologie zukommt.

 

Meteorologie um 1900

Das 19. Jahrhundert brachte in vielerlei Hinsicht Fortschritt mit sich. Neue Fortbewegungsmittel wie die Eisenbahn und das Dampfschiff sorgten für eine Beschleunigung im Verkehr und Transport; zusätzlich vereinfachte die Erfindung der Telegraphie den Informationsaustausch deutlich. Dementsprechend lässt sich sagen, dass diese Entwicklungen zu einer größeren Vernetzung von Menschen, Gütern und Ideen auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene führte.

Auch in der meteorologischen Forschung zeigten sich um 1900 einige Fortschritte. Diese sind zum Teil an neuen technischen Methoden für die Wetterbeobachtung und Klimamessung zu erkennen, zudem profitierte die Meteorologie auch vom neuen Kommunikationsmittel der Telegraphie. Deutlich sichtbar wird die Weiterentwicklung der Meteorologie an der Etablierung verschiedener staatlicher Institutionen, die sich intensiver mit den meteorologischen Geschehnissen ihres Landes beschäftigten. So wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts beispielsweise in Österreich eine Meteorologische Gesellschaft, im Vereinigten Königreich das Meteorological Department of the Board of Trade of the United Kingdom und in den USA das Weather Bureau für meteorologische Beobachtungen gegründet. Als erste deutsche Institution wurde 1847 das Preußische Meteorologische Institut etabliert. Kurze Zeit später wurde die Deutsche Seewarte in Hamburg eröffnet und der Interessenverband Deutsche Meteorologische Gesellschaft ins Leben gerufen. Gleichzeitig nahm der internationale Austausch zwischen diesen neuen Institutionen und den WissenschaftlerInnen zu. Zu sehen ist dies sowohl an verschiedenen Gastvorträgen und Ehrenmitgliedschaften nicht-deutscher Meteorologen bei der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, als auch an internationalen Organisationen wie dem International Meteorological Commitee. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Einsatzgebiete der Meteorologen Europas internationaler. Durch den Kolonialismus zog es auch diese Disziplin auf andere Kontinente des Globus.

Die Aufgabe der meteorologischen Dienste war (und ist auch heute noch) die Beobachtung des Wetters. Temperaturen, Niederschläge, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Wolken und Winde waren damals wie heute wichtige zu beobachtende Wetterphänomene für MeteorologInnen.

Neben der für die Wissenschaft interessanten meteorologischen Beschaffenheit der Erde gab es für die Wetterbeobachtungen auch praktische Gründe. So heißt es in der Erklärung zur Gründung der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, dass diese geschaffen worden sei, um die Meteorologie sowohl als Wissenschaft als auch in ihrem praktischen Lebensbezug zu fördern. Praktische Bezüge finden sich unter anderem darin, dass meteorologische Dienste durch Wetterkarten über sichere, sowie schnelle Seewege für die Schifffahrt informierten. Zudem waren die Wettervorhersagen und Klimabestimmungen wichtige Faktoren für die Landwirtschaft.

 

Windrichtungsanzeigegerät der Deutschen Seewarte (1905).[Abb.1]

 

Meteorologie in den deutschen Kolonien

Meteorologische Beobachtungen wurden in allen deutschen Kolonien durchgeführt. In sämtlichen Gebieten, die unter deutscher Kontrolle standen, gab es Stationsnetzwerke. Die Ausprägung dieser variierte jedoch deutlich zwischen den Kolonien.

Die Beobachtungsstationen in den Kolonien wurden in die Kategorien I. – IV. eingeteilt, die jeweils mit anderen Aufgaben versehen waren. Manche der Stationen waren dementsprechend für Niederschlagsmessungen und Gewitter zuständig, während andere tägliche Temperaturextreme maßen und wieder andere genaueste Beobachtungen über die Beschaffenheit der Luft und der Bewölkung aufstellten. Die gemessenen Daten wurden an die Leitungsstellen in den jeweiligen Kolonien weitergeleitet. Dort wurden sie geprüft, um dann vor allem an die Deutsche Seewarte, aber auch an das Reichskolonialamt geschickt zu werden, wo sie weiterbearbeitet und schließlich veröffentlicht wurden. Die Deutsche Seewarte konnte durch die Messungen vor allem weitere Wetterkarten erstellen und so bei etwaigen Anfragen Auskunft über sichere und schnelle Reiserouten für die verschiedenen Dampfschiffe auf ihrer Fahrt in die Kolonialgebiete geben. Außerdem wurden die gesammelten Regenmessungen auch in den Amtsblättern und Zeitungen der jeweiligen deutschen Kolonien veröffentlicht. Das wiederum war für den landwirtschaftlichen Anbau vor Ort von großer Wichtigkeit.

Weltkarte des Deutschen Wetterdienstes (DWD), die das Übersee-Stationsnetzwerk der Deutschen Seewarte, welches zwischen 1875 und 1946 existierte, darstellt. Die Farbe der Punkte zeigt den Bearbeitungsstand der Ergebnisse aus den Stationen. Vor allem in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika wie in Ozeanien sind deutliche Ansammlungen von Stationen zu erkennen.[Abb.2]

 

In "Deutsch-Ostafrika" gab es bis 1920 etwa 400 Beobachtungsstationen, die einem Regierungsmeteorologen unterstellt waren. Der Umfang des Stationsnetzwerks im Osten Afrikas lässt sich ebenfalls deutlich auf der Karte des DWD durch eine dichte Ansammlung von Stationen erkennen. Togo verfügte über etwas mehr als 40 Stationen unter der Leitung des kaiserlichen Vermessungsamts Togo. In Kamerun existierten etwa 220 Messstationen, die anfangs zur kaiserlichen Versuchsanstalt in Victoria gehörten, ab 1912 jedoch ebenfalls von einem Regierungsmeteorologen geleitet wurden. Das größte Stationsnetzwerk wurde im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika mit etwa 420 Stationen errichtet und zog, wie auf der Karte gut zu sehen ist, vor allem an der Küste entlang. Das Netzwerk unterstand erst der kaiserlichen Bergbehörde in Windhuk und anschließend der kaiserlichen Hauptwetterwarte, die ihren Sitz ebenfalls in der heutigen Hauptstadt Namibias hatte. Das Stationsnetzwerk des Kiautschou-Gebiets umfasste sieben Stationen, die alle zum kaiserlichen Observatorium Tsingtau gehörten.

Die ehemalige deutsche Südsee umfasste zusammen mit den Stationen in Samoa 70 Stationen. Die Stationen außerhalb Samoas wurden vom Reichskolonialamt geleitet, während für Samoa das Samoa-Observatorium der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen zuständig war. Hinzu kamen die Beobachtungsstationen anderer Institutionen wie der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, die eine eigene meteorologische Zeitschrift herausgab, sowie Stationen, die sich auf dem Kolonialgebiet anderer Nationen befanden. Zudem sieht man auf der Karte des DWD, dass auch Beobachtungsstationen in anderen Gebieten der Welt unter der Oberleitung der Deutschen Seewarte existierten, wie etwa in Mittel- und Südamerika.

Die Bedingungen für die Messungen waren vor allem auf Grund der verschiedenen Stationsleiter als wissenschaftlich suboptimal einzuschätzen. Zwar besaßen die Stationen geeichte Instrumente der Deutschen Seewarte, jedoch wurden die Beobachtungen selten von ausgebildeten Meteorologen ausgeführt. Stattdessen bestand das Beobachtungspersonal aus Ärzten, Missionaren, Soldaten und Kolonialbeamten, stammte aber auch aus den Reihen der einheimischen Bevölkerung.


Meteorologische Hauptstation in Buea, Kamerun (1913).[Abb.3]

 

Rolle Göttingens

Die Rolle der Stadt Göttingen für die meteorologische Forschung in den Kolonien lässt sich vor allem anhand zweier Umstände erläutern. Zum einen war es Adolf Mühry, ein Göttinger Ehrenmitglied der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, der bei einer Sitzung ebendieser 1885 den Antrag stellte, gleichzeitige meteorologische Beobachtungen am Äquator entlang durchzuführen. Er konnte sich freilich mit diesem Vorschlag, der bereits von der Deutschen Seewarte gemacht worden war,  nicht durchsetzen. Dennoch wurde beschlossen, in den deutschen Kolonien eigene Observatorien zu errichten und diese für die Deutsche Meteorologische Gesellschaft zu betreiben.

Zum anderen spielte Göttingen eine wichtige Rolle für die meteorologische Forschung in der Südsee. 1902 wurde im Auftrag der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen das Samoa-Observatorium unter der anfänglichen Leitung des Astronomen Otto Tetens in Apia errichtet. Für den Aufbau der notwendigen Hütten und Gebäude des Observatoriums wurde vor allem auf die Hilfe der SamoanerInnen selbst zurückgegriffen.

Mit der Etablierung des Samoa-Observatoriums wurde in den folgenden Jahren ein meteorologisches Stationsnetz von etwa 30 Stationen, hauptsächlich zur Messung der Niederschläge errichtet. Gesammelte Daten und Messwerte der Stationen wurden dann vom Samoa-Observatorium überprüft und bearbeitet, bevor sie an die Deutsche Seewarte geschickt wurden.

Auch wurden durch das Samoa-Observatorium Beobachtungen im Bereich der Geophysik vorgenommen. Die Leiter des Observatoriums beschäftigten sich dementsprechend unter anderem mit der Seismik und dem Erdmagnetismus, was um die Jahrhundertwende noch häufig als Teil der Meteorologie angesehen wurde, sich aber nach und nach als eigene Disziplin abgrenzen konnte, wie es in Göttingen mit dem Institut für Geophysik bereits 1898 geschehen war.

Göttingen spielte zwar keine zentrale Rolle in der meteorologischen Forschung in den deutschen Kolonien, durch das Engagement in der Errichtung des Samoa-Observatoriums und der Leitung aller deutschen Beobachtungsstationen in der Südsee-Kolonie erhielt die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen jedoch durchaus eine herausgehobene Position. Schließlich wurden von hier aus alle Daten für die alles andere als unwichtige Kolonie Samoa erhoben.

 

Zusammenhang von Meteorologie und Kolonialismus

Meteorologische Beobachtungen wurden, vor allem in der Seefahrt, bereits lange vor dem Beginn des Kolonialismus durchgeführt, die Gründungen staatlich geführter meteorologischer Institutionen begannen jedoch alle im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Ein Zusammenhang zum Kolonialismus ist demnach nicht zu verkennen, da sich der Beginn des Imperialismus der europäischen Nationen schließlich in einen ähnlichen zeitlichen Rahmen einordnen lässt. Verwunderlich ist dieser Zusammenhang nicht, so war der Kolonialismus in vielen Bereichen relevant für eine Neuordnung des Wissens in akademischen Disziplinen und eröffnete auch für die Meteorologie neue Möglichkeiten, sich als eigenständige und nützliche Wissenschaft zu beweisen. Doch worin genau lag der Nutzen der Meteorologie für den Aufbau und die Stabilisierung kolonialer Herrschaft?

Die Wetterbedingungen in den verschiedenen deutschen Kolonien unterschieden sich teilweise sehr deutlich voneinander, vor allem aber wichen sie von den bekannten deutschen klimatischen Bedingungen ab. Rückschlüsse aus bereits vorliegenden Daten waren also unmöglich. Wollte man wissen, wieviel Regen, Sonne, Stürme oder gar Unwetter zu erwarten waren, musste man eigene Stationen aufbauen. Das war ökonomisch von erheblicher Bedeutung. Die Meteorologie trug so unter anderem durch Beobachtung des Wetters und das Auswerten der Ergebnisse dazu bei, den landwirtschaftlichen Plantagenbetrieb des Deutschen Reiches in den ehemaligen Kolonien zu optimieren. So wurde beispielsweise die Frage, ob eine Kaffeeplantage angelegt werden soll oder nicht, mit Hilfe dieser Daten beantwortet. Auch weitere lebenspraktische Fragen für Kolonialbeamte und andere in den Kolonien lebende EuropäerInnen, wie zum Beispiel, ob es in dem jeweiligen Gebiet regelmäßige Regen- oder Trockenzeiten gab, ließen sich durch die meteorologische Arbeit beantworten. Sie ermöglichte dadurch gewisse Vorbereitungsmaßnahmen, um etwa Expeditionen oder die Anlage eines Straßennetzes zu planen. Der für inbesondere die Kolonien in Afrika zentrale Eisenbahnbau war ohne meteorologische Daten, die beispielsweise über Überschwemmungen, aber auch über Dürreperioden Auskunft gaben, unmöglich.

Auch profitierte die noch junge Dampfschifffahrt von den Beobachtungen der Stationen der Deutschen Seewarte. Durch den nun herrschenden Warenverkehr über den Seeweg, zum Beispiel zwischen Afrika und Europa, gewann die Kenntnis über die Wetterbedingungen zwischen den Zielen deutlich an Bedeutung. Die Beobachtungen sollten dementsprechend Informationen über die sowohl sichersten als auch schnellsten Routen zwischen Kolonie und der kolonisierenden Nation liefern. Zudem gaben die Daten der Deutschen Seewarte Hinweise darüber, wann der beste Zeitpunkt zum Anlegen bestimmter Schiffsarten in verschiedenen Zielhäfen war. Demnach profitierten die Kolonien durchaus von den meteorologischen Arbeiten.

Andersherum profitierte die Disziplin der Meteorologie ebenso von den Kolonien. Erst die Aneignung von Besitz in Afrika und anderen Teilen der Welt durch die Kolonialmächte erlaubte es den Meteorologen, Beobachtungen in solch einem Umfang zu betreiben, wie es geschehen ist. Zwar gab es auch zuvor Forschungsexpeditionen, zum Beispiel in die Arktis und die Antarktis, um dort Beobachtungen und Messungen durchzuführen, eine andauerndes finanzierbares Stationsnetzwerk ließ sich jedoch nur dann einrichten, wenn das Land bereits in Besitz genommen worden war. Auch die territoriale Durchdringung der jeweiligen Kolonien erleichterte das Errichten von Wetterstationen und die Beförderung der Messinstrumente über weitere Strecken innerhalb der Gebiete. Nicht zuletzt spielte auch die größere Finanzierung meteorologischer Projekte in den ehemaligen Kolonien als positive Konsequenz für das wachsende staatliche Interesse an diesen eine wichtige Rolle für die Disziplin.

Durch diese Umstände konnten damalige Meteorologen deutliche Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaft selbst machen. Der Kolonialismus führte zu einer Verdichtung des globalen meteorologischen Beobachtungsnetzes und eröffnete dadurch neue Erkenntnisse zur Klimaforschung und der Atmosphäre. Verstärkt wurde dies auch durch die ebenfalls intensivierte internationale Vernetzung und dem daraus folgenden Austausch von Messdaten, Beobachtungen und Erkenntnissen zwischen den Wissenschaftlern auf internationalen Versammlungen.

Dementsprechend lässt sich ein Verhältnis zwischen dem Kolonialismus und der Meteorologie erkennen, von dem beide Seiten profitierten. Die Kolonialmächte konnten sich durch praktische Informationen zum Wetter für die koloniale Landwirtschaft und die Überseeschifffahrt Gewinne verschaffen, während die Disziplin der Meteorologie aus den Finanzierungen von Projekten und einem flächendeckenderem Stationsnetz zum Erforschen des Klimas und der Atmosphäre ihren Nutzen zog.

 

Von Benito Mucé

 

Literaturhinweise

Cornelia Lüdecke, Gründung der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (Ära Neumayer 1883–1889), in: Gerd Tetzlaff/Cornelia Lüdecke/Hein Dieter Behr (Hg.), 125 Jahre Deutsche Meteorologische Gesellschaft. Festveranstaltung am 7. November 2008, Offenbach a.M. 2008, 41–48.

Deutscher Wetterdienst, Historische Klimadaten als Beitrag zur globalen Klimaüberwachung. Das Archiv der Überseestationen der Deutschen Seewarte Hamburg, Hamburg 2019.

Kevin Teague/Nicole Gallicchio, The Evolution of Meteorology: A Look into the Past, Present, and Future of Weather Forecasting, West Sussex 2017.

P. Heidke, „Meteorologie“, in: Heinrich Schnee (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon Band II., Leipzig 1920, 552–553.

Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München 2006.


Abbildungen

[Abb.1] Deutscher Wetterdienst/Archiv Deutsche Seewarte. Online unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/ueberseestationen/ueberseestationen.htm (Letzter Zugriff: 18.3.2020). Rechtlicher Hinweis: Eine Nutzungsgenehmigung des DWD liegt vor.

[Abb.2] Deutscher Wetterdienst. Online unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/ueberseestationen/ueberseestationen.html (Letzter Zugriff: 2.11.2019). Rechtlicher Hinweis: Eine Nutzungsgenehmigung des DWD liegt vor.

[Abb.3] Deutscher Wetterdienst/Archiv Deutsche Seewarte. Online unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/ueberseestationen/ueberseestationen.htm (Letzter Zugriff: 18.3.2020). Rechtlicher Hinweis: Eine Nutzungsgenehmigung des DWD liegt vor.