Drucken

In Amani (Tansania) und Göttingen (Deutschland) befinden sich zwei Orte, die als Botanischer Garten bezeichnet werden können. Diese Feststellung ist genauso offensichtlich wie die Tatsache, dass es sich um äußerst unterschiedliche Orte handelt. Verbunden sind die beiden durch ihre Bezeichnung und die wissenschaftliche Disziplin, die sie vertreten. Getrennt sind sie nicht nur durch ihre geographische Distanz. Der eine Ort liegt in Mitteleuropa, der andere nahe der Ostküste Afrikas. Bei einem handelt es sich um eine universitäre Einrichtung, beim anderen um eine koloniale Versuchsanstalt. Das eine Gelände liegt an den Rändern einer mittelgroßen Stadt, das andere breitet sich über hunderte Hektar an den Hängen eines Mittelgebirges aus. Verbunden waren sie als Teil der deutschen kolonialen Infrastruktur, die den Austausch von Personen, Pflanzen und Wissen vorantrieb. An dieser Stelle soll untersucht werden, was die beiden Orte vielleicht auch heute noch gemeinsam haben, was sie voneinander abgrenzt und inwieweit es sich, in der Geschichte und heute, um Orte des Kolonialismus handelt.

 

Der Botanische Garten in Göttingen

Der Botanische Garten in Göttingen wurde bereits im Jahr 1736 gegründet und ist damit einer der ältesten Botanischen Gärten in Deutschland. Der vom Göttinger Gelehrten Albrecht von Haller ins Leben gerufene Garten trug zunächst die Bezeichnung „Hortus Medicus", da er vornehmlich der Erforschung und Züchtung medizinischer Heilpflanzen diente. Obwohl die Gründung des Gartens etwa anderthalb Jahrhunderte vor der Übernahme deutscher Kolonien liegt, waren bereits in seiner frühen Phase Spuren des Kolonialismus dort zu finden. So besaß Albrecht von Haller bereits wenige Jahre nach der Gründung des Botanischen Gartens einen Pflanzenkatalog mit 1.500 Arten, viele davon außereuropäisch. Diese Pflanzen stammten oftmals aus den Kolonialgebieten anderer Großmächte wie England, die auch gelegentlich deutsche Forscher in ihrem Dienst beschäftigten. Die Sammlung exotischer Pflanzen als Forschungs- und Prestigeobjekte war unter Gelehrten schon im 18. Jahrhundert beliebt. Von nationalem Interesse wurde die Angelegenheit jedoch erst mit der Übernahme von Kolonialgebieten durch das Deutsche Kaiserreich im späten 19. Jahrhundert. So erlebte auch der Botanische Garten in Göttingen mit dem Beginn des deutschen Kolonialismus eine große Veränderung. In Kooperation mit der Botanischen Zentralstelle in Berlin gelangten Pflanzen aus den Kolonialgebieten in die Botanischen Gärten des Landes.

Der Garten in Göttingen erlebte in seiner Geschichte diverse Vergrößerungen und Veränderungen. Das ursprüngliche Hauptgelände innerhalb des Stadtwalls, auf dem sich heute vornehmlich Gewächshäuser befinden, wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts mehrfach vergrößert und auf beide Seiten des Walls erweitert. Der heutige Aufbau des Gartens ist geprägt durch Erweiterungen, die vor allem bis ins frühe 20. Jahrhundert stattfanden.

 

Der große Teich, Mittelpunkt des Botanischen Gartens in Göttingen, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingerichtet.[Abb.1]

 

Das Institut Amani

Das Biologisch-Landwirtschaftliche Institut Amani wurde am 4. Juni des Jahres 1902 von deutschen Kolonialbeamten in der Nähe des Dorfes Amani in den Usambara-Bergen im damaligen Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, gegründet. Das Institut umfasste ein Gebiet von etwa 300 Hektar, von denen etwa 100 kultiviert wurden. Das am Berghang liegende Gelände erstreckte sich von 400 bis auf über 1100 Meter über dem Meeresspiegel, sodass der Anbau von Pflanzen unter verschiedenen klimatischen Bedingungen getestet werden konnte. Das Institut beschäftigte einen festen Mitarbeiterstab von zwei bis drei Botanikern sowie ein bis zwei Chemikern und besaß zudem ein Gästehaus, in dem Forschungsreisende untergebracht werden konnten. Die lokale Bevölkerung wurde teilweise zwangsumgesiedelt. Gleichzeitig wurden schon bald Familien in das Gebiet um Amani zurück gesiedelt, um den Bedarf des Instituts an Arbeitskräften zu decken. 200 bis 300 Arbeiter waren nötig, um die weitreichenden Felder zu bewirtschaften. Das Aufgabenfeld von Amani orientierte sich an den praktischen Bedürfnissen der Kolonisten in Deutsch-Ostafrika und hatte das Ziel, die wirtschaftlichen Erfolge der deutschen Plantagen- und Forstwirtschaft zu befördern. Dazu wurden verschiedene Nutzpflanzen, von denen die meisten nicht heimisch waren, in großem Maße angebaut und auf ihre Wachstumsfähigkeit auf afrikanischem Boden getestet. Im Jahr 1907 waren davon etwa 650 Arten in Kultur.

Das Landwirtschaftliche Institut in Amani mit verschiedenen Versuchsfeldern im Vordergrund. Das Enstehungsdatum des Fotos ist leider unbekannt.[Abb.2]

 

Albert Peter und die Verbindung von Göttingen und Amani

Die Verbindung zwischen Göttingen und Amani lässt sich am besten nachvollziehen, wenn man sie durch die Augen des Forschers Albert Peter betrachtet. Dieser war von 1888 bis 1923 Direktor des Botanischen Gartens in Göttingen und unternahm während dieser Zeit lange Forschungsreisen nach Deutsch-Ostafrika. In dieser fungierte das Institut Amani als zentraler Anlaufpunkt. Peter reiste im Jahr 1913 zunächst von Deutsch-Südwestafrika über Südafrika nach Amani, um von dort aus seine Forschungen zu tätigen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte jedoch eine planmäßige Ausreise, sodass seine Rückkehr nach Deutschland um mehrere Jahre verzögert wurde. Peter konnte erst im Jahr 1919 nach Deutschland zurückkehren und musste dabei einen großen Teil seiner Sammlungen aufgeben. In seinen Forschungsberichten berichtet Peter mit großer Faszination von der Artenvielfalt der Usambara-Berge:

„Aber ich empfand ein wunderbares Glück und eine hohe wissenschaftliche Genugtuung, nach vielen in Sehnsucht vorausgegangenen Jahren nunmehr den Reichtum dieser überquellenden tropischen Pflanzenwelt an Ort und Stelle nicht bloß in Augenschein zu nehmen, sondern die Flora auch durchforschen und ihren räumlichen und zeitlichen Wechsel erfassen zu dürfen.“[1]

Peters pathetische Ausdrucksweise ist nicht ungewöhnlich für Botaniker seiner Zeit und schaffte es, zuhause viel Faszination für seine Forschungen und die Botanik zu erwecken. Peter war bekannt für seine Sammelleidenschaft und auch seine Vorlesungen in Göttingen galten bei den Studenten als äußerst beliebt.

Der Botanische Garten in Göttingen profitierte derweil von Peters Forschungsreisen. In seiner Abwesenheit schaffte der Gartenmeister Carl Bonstedt eine umfangreiche Umstrukturierung und Expansion des Gartens. So gehen das Alpinum, der große Teich, das Farnstück und das erste Viktoriahaus, die allesamt noch heute zentrale Anlaufpunkte des Gartens sind, auf die Zeit von Bonstedt und Peter zurück. Mit der Rückkehr von Peter aus Afrika konnten viele seiner gesammelten Stücke im Garten ausgestellt oder den Sammlungen hinzugefügt werden. Göttinger Institutionen bezeichnen die Zeit von Bonstedts und Peters Zusammenarbeit noch immer als eine Zeit „besonderer Blüte“ für den Garten.[2]

Im fortgeschrittenen Alter von über 70 Jahren und nach der Niederlegung seiner Ämter in Göttingen hatte Peter immer noch das Bedürfnis, die verlorenen Forschungen seiner ersten Afrikareise wiederzuerlangen. Deshalb unternahm er im Jahr 1925 eine weitere Reise, in der er versuchte, Teile der verlorenen Materialien erneut zu sammeln, was ihm auch recht erfolgreich gelang.

Amani befand sich seit Mitte des Ersten Weltkrieges nicht mehr unter deutscher Kontrolle, allerdings tolerierten die britischen Besatzer die Fortsetzung der Arbeit einiger deutscher Botaniker und kooperierten mit diesen. So durfte Peter auf seiner zweiten Reise in das Institut zurückkehren und von dort aus Forschungen betreiben. Im Jahr 1927 wurde Amani zur East African Agricultural Research Station (EAARS) umbenannt. Mit der Neustrukturierung und neuen Finanzierung in den späten 1920er Jahren erlebte Amani einen kurzen Aufschwung, der jedoch mit der Ausbreitung der Weltwirtschaftskrise abrupt endete. Das Institut existierte weiterhin, ohne dabei die benötigte Finanzierung zu erhalten und wurde im Jahr 1944 schließlich nach Kabete in der Nähe von Nairobi verlegt. Der ursprüngliche Standort trägt heutzutage die Bezeichnung Amani Botanical Garden und wird weiter weiterhin als Naturreservat betrieben, betreibt aber keinerlei Sammlungen oder Forschung mehr.

 

Zwei Orte des Kolonialismus?

Kehren wir nun zurück zur ursprünglichen Frage über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Göttingen und Amani und inwieweit es sich um Orte des Kolonialismus handelt. Ein Ort des Kolonialismus soll an dieser Stelle einen Ort bezeichnen, der durch koloniale Denkweisen erschaffen oder geprägt wurde, oder diese Denkweisen selbst verkörpert und vermittelt. Amani war zu seiner Gründung zweifellos ein kolonialer Ort. Schließlich wurde er von Kolonialbeamten gegründet, um explizit koloniale Interessen zu erfüllen. Dabei ging die Verfolgung von wissenschaftlichen Zielen Hand in mit eindeutig politischen oder wirtschaftlichen. Dabei war die Gratwanderung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft nicht immer spannungsfrei.

Hier liegt ein zentraler Unterschied zwischen Göttingen und Amani. Als universitäre Einrichtung war Göttingen primär von akademischen Interessen geleitet. Amani erfüllte eine Funktion, die in Göttingen und vergleichbaren Orten in Deutschland aus klimatischen und Platzgründen schlichtweg nicht möglich war. Göttingen wurde zwar zur Vorbereitung auf koloniale Expeditionen verwendet, wie Peter selbst berichtet, aber die großflächigen Versuche fanden außerhalb Europas statt.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass die in Amani ansässigen Wissenschaftler die Erforschung der Natur gerne den wirtschaftlichen Interessen vorgezogen hätten, wenn dies finanziell möglich gewesen wäre. Dafür bekam das Institut jedoch nicht die benötigte Förderung aus der Heimat. Auch jenseits von Wissenschaft oder Wirtschaft war Amani zweifellos ein kolonialer Ort. Das Gelände wurde unter Missachtung der einheimischen Bevölkerung in Beschlag genommen und obwohl teils hunderte lokale Arbeitskräfte in den Gärten des Instituts eingesetzt wurden, fanden diese keinerlei Erwähnung als Pioniere der Wissenschaft, so wie es bei den deutschen Forschenden der Fall war. Dass in Amani koloniale Interessen im Mittelpunkt standen, zeigt auch die Tatsache, dass das Institut nach der deutschen Kolonialzeit lange um seine Legitimation ringen musste. Das Institut war nicht darauf ausgelegt, lokale Interessen zu erfüllen, sondern Interessen der europäischen Kolonialmacht. Schließlich wurden große Teile der Sammlungen verlegt, aufgespalten und nur ein Teil des ursprünglichen Instituts existiert noch als Naturreservat. So ist das koloniale Erbe des Instituts heutzutage nur noch sehr schwer nachzuverfolgen. Bis auf den Namen verbindet das Amani während deutscher Kolonialzeit und das Amani der Gegenwart nur noch sehr wenig. Möglichkeiten der Erinnerung und Aufarbeitung sind so verstreut wie die Bestandteile der Institution selbst.

Der Botanische Garten in Göttingen von heute hat dagegen weitaus mehr mit dem Garten vor 100 Jahren gemeinsam. Der Standort ist der gleiche geblieben und viele zentrale Anlaufpunkte des Gartens stammen aus der Zeit der deutschen Kolonien. Macht dies den Garten zu einem kolonialen Ort? Zumindest gibt es Spuren des Kolonialismus, die vielleicht auf den ersten Blick nicht offensichtlich erscheinen. Dass überhaupt so viele Pflanzen aus aller Welt nach Göttingen gelangen konnten, war zunächst ein Produkt der kolonialen Infrastruktur. Als der artenreichste Botanische Garten Deutschlands nach Berlin-Dahlem erfüllte Göttingen eine wichtige Rolle in der Wissenschaft und die Forschungsreisen des Gartendirektors Peter zeigen, dass eine direkte Verbindung zwischen dem Göttinger Garten und den Kolonien bestand.

Ein Botanischer Garten kann auf verschiedenen Arten koloniale Denkweisen vermitteln. Die Sammlung von Pflanzen kann als besondere Errungenschaft oder Eroberung dargestellt werden; ausländische Pflanzen können bewusst als fremde und exotische Objekte gezeichnet werden; Pflanzen können zusammen mit ethnologischen und kulturwissenschaftlichen Methoden kategorisiert werden; die Arbeit einzelner ForscherInnen kann verherrlicht und nicht kritisch hinterfragt werden. Das Prinzip Botanischer Garten ist anfällig für solche Denkweisen, da die Faszination der Botanik historisch gesehen sicherlich viele Überschneidungspunkte mit der Faszination des Kolonialismus hat. Dies soll nicht bedeuten, dass ein Botanischer Garten keine Pflanzen ausstellen sollten, die aus der Zeit des Kolonialismus stammen. Im Gegenteil, vielleicht sollten diese Pflanzen nicht nur als botanische, sondern auch als historische Ausstellungsstücke angesehen werden. Mit der Gründung des Experimentellen Botanischen Gartens im Jahr 1967 hat der nun Alte Botanische Garten tatsächlich auch den Charakter einer historischen Stätte.

Lebende Pflanzen überdauern in seltensten Fällen 100 Jahre, deshalb gibt es heutzutage kaum Pflanzen, die als Zeugen der Kolonialzeit fungieren. So ist das koloniale Erbe des Botanischen Gartens in Göttingen auch immer ein symbolisches.

 

Von Lukas Liebich

 

 

 

Literaturhinweise

Christopher Conte, Highland Sanctuary. Environmental History in Tanzania’s Usambara Mountains, Ohio 2004.

Katja Kaiser, Exploration and Exploitation. German Colonial Botany at the Botanic Garden and Botanical Museum Berlin, in: Dominik Geppert/Frank Lorenz Müller (Hg.), Sites of Imperial Memory. Commemorating Colonial Rule in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Manchester 2015, 225–242.

Michael Schwerdtfeger, Alter Botanischer Garten, in: Ulrike Beisiegel (Hg.), Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen 2018, 82–84.

Gerhard Wagenitz, Albert Peter, in: Karl Arndt (Hg.), Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751–2001, Göttingen 2001, 254.

Bernhard Zepernick, Zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Die Deutsche Schutzgebiets- Botanik, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 12 (1990), 207–217.

 


[1] Albert Peter, Zwei Expeditionen nach Deutschostafrika 1913/19 und 1925/26, in: Koloniale Rundschau 18 (1927), 33–42, 66–75, hier 36.

[2] Online unter: http://dingedeswissens.de/ddw/de/projects/sammeln/albertpeter/ (letzter Aufruf: 26.11.2019).

 


 

Ähnliche Artikel

Naomie Gramlich/Lydia Kray, Botanische Gärten post/kolonial gedacht (Teil 1), online unter: https://postcolonialpotsdam.wordpress.com/2019/06/24/botanische-gaerten-post-kolonial-gedacht-teil-1/ (Letzter Zugriff: 17.2.2020).

Patrick C. Hege/Julian zur Lage, Review: Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation. Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation. Exhibition at MARKK (Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt) 20. Sept 2019 to 19 Apr 2010, online unter: https://www.kolonialismus.uni-hamburg.de/2020/01/21/review-amani-auf-den-spuren-einer-kolonialen-forschungsstation/ (Letzter Zugriff: 17.2.2020).

 


Abbildungen

[Abb.1] Foto: Privatbesitz von Lukas Liebich (2019).

[Abb.2]  Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer:015-1228-14. Urheber: Becker.